Der virtuelle Pranger
Der Pranger diente einst dazu, kleinere Vergehen zu ahnden. Die Verurteilten wurden in einer recht unbequemen Haltung eingespannt und mussten eine Weile in dieser Position verharren; sie waren so dem Spott der Menschen ausgesetzt.
Das Problem dabei waren nicht nur die Schmerzen durch die Haltung und eventuelle Prügel, welche die Verurteilten nicht selten von den Passanten erhielten, sondern auch der Ehrverlust. Stand man eine Weile am Pranger konnte man anschließend die Stadt verlassen; die Schande war zu groß.
Natürlich ist die Zeit des Prangers lange vorbei – sollte man meinen. Leider ist dem jedoch nicht so, denn der Pranger kehrt in Form von Facebook wieder in das Leben der Menschen zurück. Nur, dass man heute kein Gericht mehr braucht, um diese Strafe zu verhängen. Gut meinende Bürger greifen zur Selbstjustiz und stellen Menschen an den virtuellen Pranger, ohne Näheres über sie zu wissen; einfach auf Verdacht.
Gestern zum Beispiel fand ich bei Facebook das Bild eines Mannes. Er wurde als Pädophiler bezeichnet und das Posting forderte dazu auf, das Bild möglichst oft zu teilen.
Nun mag es natürlich sein, dass es sich bei besagtem Foto tatsächlich um das eines pädophil veranlagten Mannes handelt. Nur bedeutet dies nicht, dass diese Person ihre Persönlichkeitsrechte verloren hat. Niemand darf auf diese Weise zur Schau gestellt werden, nicht einmal dann, wenn er wegen besagter Straftat rechtskräftig verurteilt wurde. Auch wenn es manchen Menschen schwerfällt, dies zu akzeptieren – auch Straftäter haben Rechte! Sie verlieren diese nicht, nur weil uns die Tat als besonders schimpflich erscheint.
Ganz abgesehen davon, dass ich den Mann nicht kenne. Vielleicht ist er pädophil, vielleicht auch nicht. Vielleicht hat seine Ex-Frau das Bild mit diesem Text ins Web gestellt, um ihn nach einem Seitensprung oder ausbleibenden Zahlungen zu demütigen.
Es ist sehr gefährlich, solche virtuellen Anprangerungen zu unterstützen. Betroffene können dagegen vorgehen, und dann wird es für den Anprangernden umso teurer. Vor allem dann, wenn die Anschuldigungen gar nicht zutreffen.
Hinzu kommt, dass man mit solchen Postings enorm verantwortungslos handelt. Was, wenn jemand Unschuldiges auf diese Weise vorgeführt wird? Wenn es plötzlich heißt, jemand sei pädophil, obwohl es nicht zutrifft? Arbeitgeber, Kollegen und Klubfreunde lesen es vielleicht, das Leben des Mannes ist zerstört. Konnte man früher nach einer Prangerstrafe die Stadt verlassen, ist dies heute kaum möglich – Facebook ist weltweit aktiv, überall kann man auf diese Bilder stoßen. Zumal sich diese Postings über Jahre halten und immer mal wieder geteilt werden.
Personalchefs suchen zudem heute in Facebook und bei Google, welche Eindrücke Bewerber im Web hinterlassen haben. Was, wenn sie auf solche Bilder stoßen?
Der virtuelle Pranger ist eine der gefährlichsten und widerlichsten Nebenwirkungen sozialer Netzwerke. Wir können nur dazu aufrufen, ihn keinesfalls zu unterstützen; auch im Interesse jener, die glauben, damit etwas Gutes zu tun. Denn etwas Gutes kann aus solchen Aktionen niemals erwachsen!
(Zeichnung: Pearson Scott Foresman)