Onleihe – begraben will ich sie, nicht sie preisen!
Ich liebe die Möglichkeiten, die eBook-Reader, Smartphones und Tablets bieten. Als Freund guter und auch nicht so guter Literatur bevorzuge ich meine Romane, Schundheftchen und auch Magazine digital.
Schon eine Weile schiele ich daher in Richtung Onleihe, also die Möglichkeit, über eine Mitgliedschaft bei einer Bibliothek bequem von zu Hause aus besagte digitale Medien auszuleihen und mittels eines Tablet-PC zu lesen.
Heute nun war ich in der Stadtbibliothek unweit meines Wohnorts, zahlte den anfallenden Jahresbeitrag und erhielt einen schimmernden, funkelnagelneuen Mitgliedsausweis, auf dem sogar mein Name korrekt geschrieben steht.
Zu Hause angekommen lud ich die Onleihe-App auf das iPad, loggte mich mit meinen schimmernden, funkelnagelneuen Login-Daten ein und begann, mir das System anzuschauen.
Science Fiction, Thriller, Horror … Alles da!
Dies war mein erster Eindruck.
Hm? Kein Reader installiert? Wie meinen die denn das?
Das war mein zweiter Eindruck.
Schließlich lese ich nicht erst seit heute eBooks auf dem iPad. Im Gegenteil, ich habe im Laufe der letzten Jahre diverse eBooks erworben; sowohl über iBooks, die Apple-eigene App zum Kaufen und Lesen von eBooks, als auch über Amazon, deren Kindle-App für nahezu jedes System dort draußen verfügbar ist.
Vor allem aber fragte ich mich, wozu in aller Welt ich einen Reader benötige, wenn ich doch die Onleihe-App installiert habe. Schließlich kann heute jeder minderbegabte Programmierer einen Reader in eine App integrieren. Die Zahl minderbegabter Reader-Apps macht dies deutlich.
Was also sollte der Mist?
Ein Blick auf die Webseite von Onleihe brachte die traurige Lösung – die Bücher sind mit Adobes DRM versehen. Wörtlich heißt es dort:
Unsere digitalen Inhalte werden über verschiedene Verfahren im Internet gesichert, um eine faire Nutzung im Sinne des Urheberrechts zu garantieren. Im Fall der Onleihe haben wir uns für ein Verfahren der Firma Adobe und Microsoft entschieden.
Eine faire Nutzung, ah ja! Seit wann ist DRM „fair“ für Kunden?
Aber egal, wenn schon die Entwickler der Onleihe-App nicht fähig waren, einen DRM-fährigen Reader in ihr Programm zu integrieren, musste ich also in den sauren Apfel beißen und einen Reader mit Adobe-DRM installieren. Vorgeschlagen wurde der kostenfreie Bluefire Reader, und den nahm ich denn auch. Fluchs noch eine neue Adobe-ID angelegt - die alte hatte ich vergessen und mir fehlte die Lust, sie irgendwo auf einem meiner Rechner zu suchen - und schon war ich bereit, das Angebot neu auszuloten.
Ich suchte ein Buch, ich fand ein Buch, ich wollte es ausleihen, aber …
… ich erhielt den Hinweis, dass das Buch ausgeliehen sei!
Ein eBook!
Ausgeliehen!
Ein eBook!
Ausgeliehen!
Ein eBook!
Ausge… Lassen wir das!
Mein erster Gedanke war, dass mich ein unheimliches Zeitphänomen heimgesucht habe, und wir heuer den 1. April hatten, nicht etwa den 01. Februar. Denn eigentlich konnte dies doch nur ein Aprilscherz sein, oder?
Aber nein, sowohl das iPad als auch mein Smartphone, meine Uhr neben dem Bett sowie jene an meinem Handgelenk und auch die Zeitanzeige des TV-Geräts bestätigten, dass ich das Hier und Jetzt nicht verlassen hatte.
Also war dies auch kein Scherz.
Ein eBook!
Ausgeliehen!
Ein eBook!
Ausgeliehen!
Wie in aller Welt kann ein verdammtes eBook ausgeliehen sein?
Ich meine – was machen die mit der elenden Datei? Wird die jedes Mal via Steuerung & X vom Server ausgeschnitten und per Steuerung & V auf das Gerät des jeweiligen Kunden verschoben, sodass sie nicht mehr verfügbar ist?
Wieder half ein Blick in die FAQ der Onleihe-Webseite. Dort heißt es wörtlich:
DRM steht für Digital Rights Management und ist eine Technologie, die es ermöglicht, digitale Inhalte mit einem gewissen Schutz zu versehen. Das DRM sorgt zum Beispiel dafür, dass die Medien in einer Onleihe nicht beliebig kopierbar sind. Analog zu einem Buch oder einem anderen Medium in der Bibliothek können sie jeweils nur von einer Person gleichzeitig genutzt werden. DRM ermöglicht die Übertragung der bibliothekarischen Ausleihe in die Onlinewelt.
Mir drängte sich sofort eine Frage auf: Wer zur Hölle hat sich diesen Scheiß ausgedacht?
Wir schreiben das Jahr 2014, die Bibliotheken bieten eBooks an, die man online ausleihen kann – und sie übertragen ein uraltes System derart ins Heute, dass von den modernen Möglichkeiten kaum etwas übrig bleibt? Wie vor 20 Jahren soll ich ein Buch vorbestellen, um es dann irgendwann digital lesen zu können?
Ein eBook?
Vorbestellen?
Ein eBook?
Das Internet hat etwa Mitte der Neunziger seinen Siegeszug endgültig angetreten, immer schnellere Verbindungen, große Server und Web 2.0 machen heute Dinge möglich, die zuvor kaum denkbar waren.
Und ich muss in Deutschland EIN EBOOK VORBESTELLEN?
Wollen die mich verarschen?
„Ich bin ein Leser, holt mich aus diesem verknöcherten, altmodischen, grenzdebilen, technisch unfähigen, von Sonderschülern auf Pattex-Tüte erdachten System heraus!“, möchte ich da laut ausrufen und mit den Händen gegen den Monitor meines iPads klopfen.
Wie kann man ernsthaft annehmen, jemand mit iPad, Galaxy Tab oder Surface Pro würde ein solches System wollen?
Wer glaubt wirklich, die modernen User möchten eine korrekte „Übertragung der bibliothekarischen Ausleihe in die Onlinewelt“?
An dieser Stelle versuchte ich erst gar nicht mehr, mich tiefer mit den Funktionen der Onleihe bekannt zu machen. Ich stellte eher nebenbei fest, dass man laut Webseite zwar auch Filme ausleihen kann, auf dem iPad davon jedoch nichts zu spüren ist. Kein Wunder, denn konsequent setzt man auf Silverlight … Und dieses Drama wird an anderer Stelle und unabhängig von der Onleihe zu behandeln sein!
Oh, die von mir erhofften Magazine, die es ebenfalls laut Webseite geben sollte, konnte ich auf dem iPad auch nicht finden; vielleicht entscheidet jede Bibliothek selbst, was sie anbieten. Und im Jahre 2014 braucht man keine eMagazine.
Ehrlich gesagt interessierte es mich zu diesem Zeitpunkt nicht mehr, denn weder die App der Onleihe noch der Bluefire Reader befinden sich nun, da ich diese milden Worte verfasse, auf meinem iPad.
Oder anders gesagt: Liebe Bibliotheken, schiebt euch eure Onleihe in die durch zwei Schließmuskel verschlossene Ampulla recti , denn genau dafür ist sie!
Irgendwann, so in zwanzig Jahren, versuche ich es noch einmal. Vielleicht sind die Macher dieser „Übertragung der bibliothekarischen Ausleihe in die Onlinewelt“ dann im Jahr 2014 angekommen, und ich muss nicht ein eBook vorbestellen.
Ein eBook!
Vorbestellen!
Oh Mann – ich gehe zu Bett; gute Nacht, und viel Glück!
PS: Und damit ihr, die ihr meine Worte vernommen habt, klüger aus dem Artikel geht, als ihr hineingegangen seid, lasst euch gesagt sein, dass ich mich bei der Wahl der Überschrift schamlos bei William Shakespeares Julius Caesar bedient habe! William möge es mir verzeihen ...!